
Erdkabel oder Freileitung? Das ist hier die Frage…
Die Stromversorgung der Zukunft ist eines der wichtigsten energie- und wirtschaftspolitischen Themen. Der Ausbau erneuerbarer Energien, der wachsende Bedarf für Mobilität, Heizung und KI sowie die steigenden Anforderungen an Versorgungssicherheit erfordern eine effiziente und nachhaltige Netzinfrastruktur. Beim Ausbau des 110-Kilovolt(kV)-Hochspannungsnetzes, dem Rückgrat des Verteilnetzes, stellen Stakeholder immer wieder die Frage: Warum kann die Hochspannungsübertragung nicht mittels Erdkabel erfolgen?
Technische Grundlagen und Unterschiede
Die Freileitung ist die traditionelle Lösung für die Hochspannungsübertragung. Die ältesten Freileitungen in der Hochspannung bei MITNETZ STROM sind bereits über 100 Jahre alt! Sie bestehen aus Leiterseilen, die von Mast zu Mast verlaufen. Vorteile sind die vergleichsweise niedrigen Baukosten, einfache Wartung und die bewährte Technik. Nachteile ergeben sich vor allem durch die Sichtbarkeit, mögliche Beeinträchtigung des Landschaftsbildes und die Anfälligkeit bei extremen Wetterbedingungen wie Sturm oder Schnee bzw. Eislast.

Erdkabel hingegen verlaufen unterirdisch in speziell gebetteten Kabelgräben. Die Kabel werden dabei in Schutzrohren geführt. Bei offener Verlegung – es gibt auch andere Verfahren, wie zum Beispiel das Spülbohrverfahren – wird der Bodenaushub sortenrein gelagert und der Graben wieder in gleicher Reihenfolge aufgefüllt. Erdkabel bieten den Vorteil eines geringeren Flächenverbrauchs, sie sind weniger störanfällig bei Witterungseinflüssen und beeinträchtigen das Landschaftsbild kaum. Allerdings sind die Baukosten meist deutlich höher. Wartung und Reparaturen gestalten sich aufwändiger. Echte Langzeit-Erfahrungen, zum Beispiel über die Haltbarkeit der Kabel im Boden, gibt es noch nicht.

Gesetzliche Rahmenbedingungen und Planungsrecht
Die rechtlichen Vorgaben für den Leitungsbau sind unter anderem im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG), im Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG) sowie in den Landesplanungsgesetzen verankert. Wesentliche Aspekte sind:
- Genehmigungsverfahren: Für Trassen, egal ob Kabel oder Freileitung, sind umfangreiche Planungs- und Genehmigungsverfahren notwendig, die Umweltverträglichkeitsprüfungen, Öffentlichkeitsbeteiligung und sonstige Abwägungen umfassen.
- Vorrang für Erdkabel: Das EnWG sieht vor, dass bei Neubauprojekten in der Hochspannung, Erdkabel als technische Lösung bevorzugt werden müssen. Allerdings gilt dieser Vorrang nur, wenn die Kosten der Erdverkabelung nicht höher sind als die Kosten einer entsprechenden Freileitung multipliziert mit dem Faktor 2,75. Das heißt: Kostet die Erdkabelvariante mehr als das 2,75-fache der Freileitungsvariante, scheiden Erdkabel als technische Lösung aus.
- Abstandsregelungen: Für Freileitungen gelten bestimmte Mindestabstände zu Wohngebäuden und Naturschutzgebieten, die die Trassenführung beeinflussen. Bei der Planung ist die Breite der Schutzstreifen relevant.
Da das EnWG den Erdkabel-Vorrang in der Hochspannungsebene festschreibt, geht MITNETZ STROM bei der Planung einer neuen 110-kV-Leitung ergebnisoffen in das Genehmigungsverfahren. Die Kostenrelation zwischen Freileitung und Erdkabel muss nachgewiesen werden. Sie entscheidet letztlich für die eine oder andere Lösung. Untersuchungen, die im Rahmen der Genehmigungsverfahren erstellt werden und praktische Erfahrungen zeigen, dass die Gesamtkosten für Erdkabel auf der gesamten Leitungslänge in der Regel höher sind als die für Freileitungen. Der Faktor 2,75 wird deutlich überschritten. Dies ist vor allem in Gebirgsregionen der Fall oder bei schwierigen Bodenverhältnissen. Auch die Kosten für die Materialien und die Baukosten selbst fließen in die Berechnung des Faktors ein.
Umweltaspekte und gesellschaftliche Akzeptanz
Ein weiterer wichtiger Faktor bei der Entscheidung zwischen Erdkabel und Freileitung sind die Umweltverträglichkeit und die gesellschaftliche Akzeptanz. Erdkabel haben den Vorteil, dass sie das Landschaftsbild kaum beeinträchtigen und somit in sensiblen Gebieten, wie Naturschutz- oder Erholungsgebieten, bevorzugt werden.

Dies kann die Genehmigungsverfahren erheblich vereinfachen und beschleunigen. Im Gegensatz dazu sind Freileitungen sichtbare Eingriffe in die Landschaft, die oftmals auf Widerstand in der Bevölkerung stoßen. Die Akzeptanzprobleme können zu Verzögerungen im Planungsprozess führen und zusätzliche Kosten verursachen.

MITNETZ STROM wird immer wieder seitens der Stakeholder mit der Frage konfrontiert, warum eine Leitung nicht als Erdkabel ausgeführt wird. Dass Erdkabelpassagen möglich sind – auch wenn der Kostenfaktor die 2,75 überschreitet – zeigt der dritte Bauabschnitt der Leitung Crossen-Herlasgrün. In Neumark und Rotschau hat MITNETZ STROM gemeinsam mit den Bürgerinitiativen und Vertretern der Kommunen an „Runden Tischen“ einen technischen Kompromiss erarbeitet: Obwohl die rund 17 Kilometer lange Leitung größtenteils als Freileitung gebaut wird, führt MITNETZ STROM die Trasse in den beiden Ortslagen auf mehreren hundert Metern freiwillig als Erdkabel aus. Dieser Mehraufwand hat für eine breite Akzeptanz des Leitungsbauvorhabens gesorgt. Die Bauarbeiten konnten 2024 ohne Gegenklagen beginnen.

Abwägung zwischen Kosten, Umwelt und Gesetzgebung
Eine nachhaltige und gesellschaftlich verträgliche Energieinfrastruktur erfordert eine sorgfältige Abwägung aller Faktoren. Der im EnWG festgeschriebene Erdkabelvorrang mit dem beschriebenen Kostenfaktor bleibt dabei ein wichtiger Richtwert bei der Kostenplanung. Letztlich entscheiden jedoch auch die individuelle Projektkonstellation, die Umweltverträglichkeit und die gesellschaftliche Akzeptanz über die Wahl der optimalen Lösung.
Welche Rolle Nachhaltigkeit beim Netzausbau spielt und worauf wir dabei konkret achten, erfährst du im Blogbeitrag „Netzausbau, aber nachhaltig!„. Weitere Infos zum Erfolg des Projektes Crossen-Herlasgrün gibt es auf unserer Internetseite zum Thema. 2025 investiert MITNETZ STROM mehr als eine halbe Milliarde Euro in den Netzausbau und damit in die Versorgungssicherheit unserer Kunden.